Gustav Nottebohm – Zweite Beethoveniana – XX – Skizzen zur neunten Symphonie. (Seite 157)

Nachgelassene Aufsätze von Gustav Nottebohm Leipzig, Verlag von J. Rieter Biedermann 1887

Man kann in Beethoven’s Skizzenbüchern die Beobachtung’ machen, dass, wenn eine grössere Composition beendigt oder ihrer Beendigung nahe war, in der Regel Ansätze zu mehreren neuen Compositionen gemacht wurden, die dann grösstentheils unausgeführt liegen blieben, kleinstentheils fortgesetzt oder weitergeführt wurden. So erscheint in einem dem Jahre 1815 angehörenden Skizzenbuclie nach den letzen Entwürfen zu der Sonate Op. 102 Nr. 2, zwischen ändern theils liegen gebliebenen, theils benutzten Entwürfen, ein Ansatz zu einer Fuge,
Ende langsam
der den Kern des Themas des zweiten Satzes der neunten Symphonie enthält,*) der aber, da er unausgeführt liegen blieb und da in ihm der springende Punkt zur neunten Symphonie nicht zu finden ist, den wirklichen Beginn der Composition nicht bezeichnen kann. Beethoven dachte wohl zur Zeit, als
Fuge
*) Nach einer Mittheilung von Carl Czerny soll Beethoven auf das Thema zum Scherzo der neunten Symphonie gekommen sein, als er einst in einem Garten das Gezwitscher der Spatzen hörte. Nach einer ändern Mittheilung sollen ihm, nachdem er lange im Finstern im Freien gesessen, von allen Seiten aufglitzernde Lichter das Motiv zum Scherzo eingegeben haben. Nun, wenn dem so ist. so haben wir in obigem Entwurf das Product der einen oder ändern Anregung.

jener Entwurf entstand, wie aus einer bald darauf geschriebenen, auf derselben Seite vorkommenden, zu einer ebenfalls liegengebliebenen Skizze gehörenden Bemerkung

Sinfonie erster Anfang in bloss 4 Stimmen 2 Viol. Viola Basso dazwischen forte mit ändern Stimmen u. wenn möglich jedes andere Instrument nach u. nach eintreten lassen — hervorgeht, an die Composition einer neuen Symphonie. Auf die neunte Symphonie aber kann die Bemerkung nicht bezogen werden.

Im Jahre 1817 arbeitete Beethoven an einem fugirten Satze

u. s. w.
s
mit einem Vorspiel

für zwei Violinen, zwei Violen und Violoneell. Es hat allen Ansehein, dass das Stück, an Stelle der bald darauf entstandenen, unter der Opuszahl 137 erschienenen fünfstimmigen Fuge, ursprünglich für die von Tobias Haslinger veranstaltete geschriebene Sammlung der Werke Beethovens bestimmt war. Die Arbeit blieb, nachdem ungefähr vier Seiten ins Reine geschrieben waren, liegen; das Fugenthema aber nicht. Wir werden es in den Arbeiten zur neunten Symphonie wiederholt auftauchen sehen.

Der Beginn der Composition der neunten Symphonie ist an den Beginn des ersten Satzes gebunden. Die ersten Skizzen zu diesem Satze zeigen, dass Beethoven sich mit der Absicht trug, eine Symphonie zu schreiben. Sie finden sieh auf einzelnen zerstreuten Blättern aus dem Jahre 1817. Wie weit die Arbeit Ende 1817 oder Anfang 1818 gediehen war und dass Beethoven schon an die ändern Sätze dachte, kann man aus einem Skizzenbuehe aus jener Zeit ersehen. Beethoven schreibt da zuerst:

dann (einige Seiten später):

anfangs vielleicht auch Triolen

Wir haben hier lauter abgerissene Skizzen vor uns. Bekanntes und Unbekanntes tritt uns entgegen. Die nacli oben gestrichenen Noten im 2. Takt der ersten Skizze sind später hingeschrieben worden. Die Bemerkung bei der sechsten Skizze betrifft die Behandlung der Geigen. Beethoven war in Zweifel, ob statt der angedeuteten Sextolen nicht Triolen zu nehmen seien. Die ganze Arbeit zeigt sich noch in ihrem ersten Stadium.

Die meisten Skizzen betreffen den ersten Satz, Das Hauptthema, die Hauptmotive desselben sind festgestellt. Von den ändern thematischen Bestandteilen des Satzes ist aber gar wenig bemerkbar. Als Thema zum Scherzo wird erst das Fugenthema aus dem Jahre 1815, dann das aus dem Jahre 1817, dann ein neues aufgestellt. Vom jetzigen dritten und vierten Satz ist noch keine Note gefunden. Die Skizzen beweisen, dass der letzte Satz ein Instrumentalsatz werden sollte und dass Beethoven noch nicht an die Verwebung mit Schiller’s Hymne »An die Freude« dachte.

Nun sind einige Blätter vorzunehmen. Auf einem Blatte, das entweder gleichzeitig mit jenem Skizzenbuch oder etwas später benutzt wurde, entscheidet sich Beethoven
für die Sextolen-Bewegung zu Anfang des ersten Satzes, über die er im Skizzenbuch noch in Zweifel war. Ein anderes Blatt, das in die zweite Hälfte des Jahres 1818 zu setzen ist und später beschrieben wurde, als das vorige Blatt, bringt eine Bemerkung,

Adagio Cantiquc —

Frommer Gesang in einer Sinfonie in den alten Tonarten — Herr Gott dich lohen wir — alleluja — entweder für sich allein oder als Einleitung in eine Fuge.

Vielleicht auf diese Weise die ganze 2te Sinfonie cliarak-terisirt, wo alsdenn im letzten Stück oder schon im Adagio die Singstimmen eintreten. Die Orchester Violinen etc. werden beim letzten Stück verzehnfacht. Oder das Adagio wird auf gewisse Weise im letzten Stücke wiederholt wobei alsdenn, erst die Singstimmen nach u. nach eintreten — im Adagio Text griechischer MitJios Cantiquc Eclesiastique — im Allegro Feier des Bachus

aus der hervorgeht, dass Beethoven zwei Symphonien, eine davon mit eintretenden Singstimmen, componiren wollte. An Schiller’s Lied wird aber auch da noch nicht gedacht,

Die bisher erwähnten Entwürfe zum ersten Hatz der Symphonie und zur Symphonie überhaupt wurden während der Composition der Sonate Op. 106 geschrieben. Zwei der ^rossten Instrumentalwerke Beethoven’s fallen also dev ersten Entstehung- nach so ziemlich in eine und dieselbe Zeit,

Tn den nächsten vier Jahren lässt sich die Arbeit nicht gut verfolgen. Sie wurde durch die zu ändern Compositionen unterbrochen. Von grösseren Werken entstanden in dieser Zeit die drei Claviersonaten Op. 109, 110 und 111, die zweite Messe und die Ouvertüre Op. 124. Am meisten war Beethoven mit der Messe beschäftigt. Erst als diese und die Ouvertüre und der Chor zur »Weihe des Hauses« in den Skizzen fertig waren, richtete sich seine Aufmerksamkeit fast ausschliesslich auf die Symphonie.*)

Lieber den Stand der Arbeit, wie sie im Sommer oder Herbst 1822 wieder aufgenommen und weitergeführt wurde, giebt ein Skizzenheft Aufschluss. Die Arbeit zum ersten Satz ist, wie diese Auszüge zeigen,

*) Mit dem Gesagten lässt sich eine iu der Leipziger Allg. Musik. Zeitung vom 22. Januar 1823 stellende Nachricht aus Wien in Ueber-einstimmung bringen, welche lautet: »Beethoven hat nun auch seine zweyte grosso Messe vollendet, und wird sie kommende Fastenzeit in einem Concerto aufführen. Gegenwärtig soll er sich mit der Composi-tion einer neuen Symphonie beschäftigen«.

etwas vorgerückt. Dagegen stellt die Arbeit zum zweiten Satz, wenn man von dieser Skizze

Sinfonia Stes Stück

absieht, deren Zugehörigkeit jedoch zweifelhaft ist, noch ganz auf dem Standpunkte des Jahres 1818. Die Fugenthemen aus den Jahren 1815 und 1817 finden sich fast unverändert wieder. Vom dritten Satz ist noch nichts da. Das Wichtigste ist, dass, wie aus dieser Skizze

hervorgellt, Beethoven inzwischen auf den Gedanken gekommen war, Schiller’s Hymne zum Finale heranzuziehen. Unabänderlich fest stand, wie wir sehen werden, der Gedanke darum noch nicht.

Bemerkenswerth sind einige in demselben Skizzenheft vorkommende Aufzeichnungen, die sich auf die Einrichtung der Symphonie im Ganzen beziehen. Die erste Aufzeichnung erscheint gleich nach jener Melodie zu Seliiller’s Worten, gehört aber, nach Handschrift und Inhalt, nicht dazu und lautet, so weit sie leserlich ist, wie folgt:

Die Sinfonie aus 4 Stücken darin das 2te Stück im | Takt wie in d … . die . . könnte in | tel clnr sein u. das 4te Stück

recht fugirt

Nach dieser Aufzeichnung sollte dem letzten Satz das Fugenthema aus dem Jahre 1817 zu Grunde gelegt werden. Zum nicht erwähnten ersten Satz war,- so müssen wir annehmen, der in Arbeit stehende bestimmt.

Die nächste Aufzeichnung

bringt zwei neue Themen und lässt es dahingestellt, was für ein Thema zum Finale genommen werden sollte.

Die dritte Aufzeichnung
Sinfonie allemand entweder mit Variation nach der (?) Chor

Freu-de schö-ner Göt – ter fun-ken Tochter aus E – ly – si – um

nlsdenn eintritt oder auch ohne Variation. Ende der Sinfonie mit türkischer Musik und Singchor
bringt die Schiller’schen Worte mit einer neuen Melodie. Es ist möglich, dass diese Melodie früher entstand, als die zuerst mitgetheilte.

In der letzten Aufzeichnung
comincia

2tes Stück presto

ist dem zweiten Satz das Fugenthema aus dem Jahre 1815, dem vorletzten Satz ein in der zweiten Aufzeichnung aufgestelltes Thema und dem letzten Satz die früher verzeiehnete Melodie zu Schiller’s Worten zugetheiit.

Erwähnenswerth ist noch eine zwischen den angeführten Aufzeichnungen vorkomraende Bemerkung, welche so lautet:

auch statt einer neuen Sinfonie eine neue Overture auf Bach sehr fugirt mit S (Posaunen? Subjekten?)

Unter der »neuen« Symphonie kann schwerlich unsere neunte, mit ändern Worten, diejenige Symphonie gemeint sein, zu der der angefangene erste Satz gehören sollte.

Die Verschiedenheit obiger Aufzeichnungen und einige dann vorkommende Erscheinungen (so z. B. die, dass bei der ersten Aufzeichnung das Fugenthema aus dem Jahre 1817, kurz vorher und bei den letzten Aufzeichnungen aber eine Melodie zu Schillert Worten dem Finale zu Grunde gelegt werden sollte; ferner die Ueberschrift bei der dritten Aufzeichnung »Sinfonie allem and« u. s. w.) können wir uns nicht anders als durch die Annahme erklären; Beethoven habe, wie er im Jahre 1812 die siebente und achte Symphonie gleichsam als Zwillinge zur Welt gebracht hatte, auch diesmal zwei Symphonien schreiben wollen, habe also seinen vor vier Jahren gefassten Vorsatz nicht aufgegeben. Wir werden in dieser Annahme bestärkt durch eine Aeusserung Beethoven’s, welche Friedrich Rochlitz,*) der im Sommer 1822 in Wien war und Beethoven kennen lernte, mittheilt und welche lautet: »Ich trage mich schon eine Zeit her mit drei ändern grossen Werken. Viel dazu ist schon ausgeheckt, im Kopfe nämlich. Diese muss ich erst vom Halse haben: zwei grosse Symphonien, und jede anders, jede auch anders als meine übrigen, und ein Oratorium.«**)

Beethoven muss die Absicht, zwei Symphonien zu com-poniren, bald aufgegeben haben. Wenigstens findet sich keine Andeutung mehr, aus der sich das Gegentheil entnehmen liesse. Schon in der zuletzt angeführten Bemerkung, nach welcher Beethoven »statt einer neuen Sinfonie« eine Ouverture auf den Namen »Bach« zu schreiben gedachte, lässt sich eine Einschränkung seines Vorsatzes erblicken. Längere Skizzen zu einem Satz, der zu der aufgegebenen Symphonie gehören könnte, sind nicht vorhanden. Wir sind lediglich auf jene Aufzeichnungen angewiesen, und diese sagen uns über das
*) »Für Freunde der Tonkunst«, 4. Band, S. 357. Rochlitz’ Brief, der die Mittheilung enthält, ist am 9. Juli 1822 geschrieben.
**) Beethoven hatte der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien die Composition eines Oratoriums versprochen.

Verhältniss, welches die projectirten Symphonien haben könnten, nichts. Lag doch nach den Aufzeichnungen und nach den bisherigen Entwürfen unsere neunte Symphonie, höchstens mit Ausnahme eines Theils des ersten Satzes, noch ganz im Chaos. Von anderer Seite jedoch kommen uns einige aufklärende Andeutungen zu.

Am 10. November 1822 beschloss die Direction der Philharmonischen Gesellschaft in London, Beethoven zur Composi-tion einer Symphonie aufzufordern.*) Beethoven nahm den Antrag, auf den er vorbereitet war, an. Am 6. April 1822 hatte er an Ferd. Eies geschrieben: »Was würde mir wohl die philharmonische Gesellschaft für eine Sinfonie antragen?« Und am 20. Deeember 1822 schrieb er: »Mit Vergnügen nehme ich den Antrag an, eine neue Sinfonie für die philharmonische Gesellschaft zu schreiben.« Die Symphonie, welche Beethoven nach London schickte, war bekanntlich die neunte. Bei der ersten Aufführung durch die Philharmonische Gesellschaft (am 21. März 1825) war sie auf dem Programm angezeigt mit dem Beisatz: »composed expressly for this Society«. Die Anwendung, welche sich nun auf die Aufzeichnungen machen lässt, liegt nahe. Letztere fallen in die Zeit, in der der Antrag nahe bevorstand oder eben geschehen war. Von den zwei Symphonien, welche Beethoven zu schreiben gedachte, war eine für England bestimmt, die andere nicht. Bei der für England bestimmten, musste Beethoven, wenigstens anfangs, Bedenken tragen, einen Vocalsatz mit deutschem Text anzubringen. Die Symphonie musste ganz instrumental sein. Eine solche Symphonie ist in der ersten Aufzeichnung ins Auge gefasst. Bei der ändern Symphonie fiel jenes Bedenken weg. Hier sollte Schiller’s Gedicht herangezogen werden. Die Worte in der dritten Aufzeichnung »Sinfonie allemand« sagen es deutlich, dass sie nicht für England bestimmt war.
*) The composition of this sympliony (the ninth or choral sym-phouy) was the result of a meeting of the Directors on the 10th of November, 1822, at whieh it was resolved to offe.r Beethoven fifty pounds t’or a MS. symphony.« The Philharmonie Society of London . . . . by George Hogarth. London, 18G2. Pag. 31

Die Arbeit wurde, zunächst nur unterbrochen durch die zu den Variationen Op. 120, nun fortgesetzt. Zunächst wuchs der erste Satz heran. Die Arbeit dazu zieht sieh bis in die zweite Hälfte des Jahres 1823 hinein. Themen und Motive, Bestandtheile und Stellen kommen zum Vorschein, die’ sich in den früheren Skizzen nicht finden. Erst als der erste Satz in den Skizzen fast ganz fertig und gesichert war, erscheinen, abgesehen von den wenigen früher aufgefundenen Motiven oder Themen, nach und nach einzelne kürzere und längere Stellen, die den übrigen Sätzen gelten. Die Erscheinung, dass Beethoven an zwei oder drei Sätzen gleichzeitig arbeitete, wiederholt sich. Das Heranwachsen, die Vollendung des ersten Satzes war, wie es sich auch bei ändern Werken, z. B. bei der Sinfonia eroica, naehweisen lässt, für die Entstehung und Gestaltung der folgenden Sätze entscheidend. Es sollte Beethoven nicht gelingen, die Grundlinien zu den folgenden Sätzen und zum ganzen Werke zu ziehen, bevor der grossartige Unterbau des ersten Satzes gelegt war. Die Idee der neunten Symphonie erwuchs während des Schaffens.*)

Das Jahr 1823 ist vorzugsweise der neunten Symphonie gewidmet. Wie die Vollendung des ersten Satzes, so gehört, den instrumentalen Eingang zum letzten Satz und vielleicht andere bedeutende Stellen ausgenommen, auch die Entstehung und Composition der letzten drei Sätze dem Jahre 1823 an. Man kann dieses Jahr, wenn auch nicht als das der Em-pfängniss, so doch als das der Geburt der neunten Symphonie in ihrer Ganzheit bezeichnen.

Der zweite Satz wurde früher als der dritte und dieser früher als der vierte fertig. Der zweite Satz war ungefähr im August 1823 im Entwürfe fertig. Ein in die Monate Mai bis Juli 1823 zu setzendes Taschen-Skizzenbueh **) enthält, ausser der endgiltigen Form sehr nahe kommenden Entwürfen zum ersten Satz, Entwürfe zum zweiten und dritten Satz der
*) Die bisher in diesem Artikel benutzten Vorlagen sind in den Artikeln XXXV, XXXVI und XLV näher bezeichnet. Die einzelnen Blätter, welche benutzt wurden, befinden sich an verschiedenen Orten.
**) Im Besitz von A. Artaria in Wien.

neunten Symphonie. Interessant ist es zu sehen, wie liier Beethoven die zwei Fugenthemen aus den Jahren 1815 und 1817 heranzieht, wie er durch Verlängerung’ derselben nahezu das jetzige Thema gewinnt und wie er dabei auf andere Stellen, auf den dreitaktigen Rhythmus u. s. w. kommt. Wir setzen einen Theil der Skizzen her, können jedoch nicht durchweg für die Richtigkeit der Aufeinanderfolge einstehen, da das Skizzenbuch, als zum Gebrauch ausser dem Hause bestimmt, eines von denen ist, welche vorne und hinten anfangen, also keinen Anfang haben. (Das Wort »gleich« bei der ersten Skizze bedeutet: gleich, ohne Vorspiel anfangen.)

Unter der »neuen« Symphonie kann schwerlich unsere neunte, mit ändern Worten, diejenige Symphonie gemeint sein, zu der der angefangene erste Satz gehören sollte.

Die Verschiedenheit obiger Aufzeichnungen und einige dann vorkommende Erscheinungen (so z. B. die, dass bei der ersten Aufzeichnung das Fugenthema aus dem Jahre 1817, kurz vorher und bei den letzten Aufzeichnungen aber eine Melodie zu Schillert Worten dem Finale zu Grunde gelegt werden sollte; ferner die Ueberschrift bei der dritten Aufzeichnung »Sinfonie allem and« u. s. w.) können wir uns nicht anders als durch die Annahme erklären; Beethoven habe, wie er im Jahre 1812 die siebente und achte Symphonie gleichsam als Zwillinge zur Welt gebracht hatte, auch diesmal zwei Symphonien schreiben wollen, habe also seinen vor vier Jahren gefassten Vorsatz nicht aufgegeben. Wir werden in dieser Annahme bestärkt durch eine Aeusserung Beethoven’s, welche Friedrich Rochlitz,*) der im Sommer 1822 in Wien war und Beethoven kennen lernte, mittheilt und welche lautet: »Ich trage mich schon eine Zeit her mit drei ändern grossen Werken. Viel dazu ist schon ausgeheckt, im Kopfe nämlich. Diese muss ich erst vom Halse haben: zwei grosse Symphonien, und jede anders, jede auch anders als meine übrigen, und ein Oratorium.«**)

Beethoven muss die Absicht, zwei Symphonien zu com-poniren, bald aufgegeben haben. Wenigstens findet sich keine Andeutung mehr, aus der sich das Gegentheil entnehmen liesse. Schon in der zuletzt angeführten Bemerkung, nach welcher Beethoven »statt einer neuen Sinfonie« eine Ouverture auf den Namen »Bach« zu schreiben gedachte, lässt sich eine Einschränkung seines Vorsatzes erblicken. Längere Skizzen zu einem Satz, der zu der aufgegebenen Symphonie gehören könnte, sind nicht vorhanden. Wir sind lediglich auf jene Aufzeichnungen angewiesen, und diese sagen uns über das
*) »Für Freunde der Tonkunst«, 4. Band, S. 357. Rochlitz’ Brief, der die Mittheilung enthält, ist am 9. Juli 1822 geschrieben.
**) Beethoven hatte der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien die Composition eines Oratoriums versprochen.

Verhältniss, welches die projectirten Symphonien haben könnten, nichts. Lag doch nach den Aufzeichnungen und nach den bisherigen Entwürfen unsere neunte Symphonie, höchstens mit Ausnahme eines Theils des ersten Satzes, noch ganz im Chaos. Von anderer Seite jedoch kommen uns einige aufklärende Andeutungen zu.

Am 10. November 1822 beschloss die Direction der Philharmonischen Gesellschaft in London, Beethoven zur Composi-tion einer Symphonie aufzufordern.*) Beethoven nahm den Antrag, auf den er vorbereitet war, an. Am 6. April 1822 hatte er an Ferd. Eies geschrieben: »Was würde mir wohl die philharmonische Gesellschaft für eine Sinfonie antragen?« Und am 20. Deeember 1822 schrieb er: »Mit Vergnügen nehme ich den Antrag an, eine neue Sinfonie für die philharmonische Gesellschaft zu schreiben.« Die Symphonie, welche Beethoven nach London schickte, war bekanntlich die neunte. Bei der ersten Aufführung durch die Philharmonische Gesellschaft (am 21. März 1825) war sie auf dem Programm angezeigt mit dem Beisatz: »composed expressly for this Society«. Die Anwendung, welche sich nun auf die Aufzeichnungen machen lässt, liegt nahe. Letztere fallen in die Zeit, in der der Antrag nahe bevorstand oder eben geschehen war. Von den zwei Symphonien, welche Beethoven zu schreiben gedachte, war eine für England bestimmt, die andere nicht. Bei der für England bestimmten, musste Beethoven, wenigstens anfangs, Bedenken tragen, einen Vocalsatz mit deutschem Text anzubringen. Die Symphonie musste ganz instrumental sein. Eine solche Symphonie ist in der ersten Aufzeichnung ins Auge gefasst. Bei der ändern Symphonie fiel jenes Bedenken weg. Hier sollte Schiller’s Gedicht herangezogen werden. Die Worte in der dritten Aufzeichnung »Sinfonie allemand« sagen es deutlich, dass sie nicht für England bestimmt war.
*) The composition of this sympliony (the ninth or choral sym-phouy) was the result of a meeting of the Directors on the 10th of November, 1822, at whieh it was resolved to offe.r Beethoven fifty pounds t’or a MS. symphony.« The Philharmonie Society of London . . . . by George Hogarth. London, 18G2. Pag. 31

Die Arbeit wurde, zunächst nur unterbrochen durch die zu den Variationen Op. 120, nun fortgesetzt. Zunächst wuchs der erste Satz heran. Die Arbeit dazu zieht sieh bis in die zweite Hälfte des Jahres 1823 hinein. Themen und Motive, Bestandtheile und Stellen kommen zum Vorschein, die’ sich in den früheren Skizzen nicht finden. Erst als der erste Satz in den Skizzen fast ganz fertig und gesichert war, erscheinen, abgesehen von den wenigen früher aufgefundenen Motiven oder Themen, nach und nach einzelne kürzere und längere Stellen, die den übrigen Sätzen gelten. Die Erscheinung, dass Beethoven an zwei oder drei Sätzen gleichzeitig arbeitete, wiederholt sich. Das Heranwachsen, die Vollendung des ersten Satzes war, wie es sich auch bei ändern Werken, z. B. bei der Sinfonia eroica, naehweisen lässt, für die Entstehung und Gestaltung der folgenden Sätze entscheidend. Es sollte Beethoven nicht gelingen, die Grundlinien zu den folgenden Sätzen und zum ganzen Werke zu ziehen, bevor der grossartige Unterbau des ersten Satzes gelegt war. Die Idee der neunten Symphonie erwuchs während des Schaffens.*)

Das Jahr 1823 ist vorzugsweise der neunten Symphonie gewidmet. Wie die Vollendung des ersten Satzes, so gehört, den instrumentalen Eingang zum letzten Satz und vielleicht andere bedeutende Stellen ausgenommen, auch die Entstehung und Composition der letzten drei Sätze dem Jahre 1823 an. Man kann dieses Jahr, wenn auch nicht als das der Em-pfängniss, so doch als das der Geburt der neunten Symphonie in ihrer Ganzheit bezeichnen.

Der zweite Satz wurde früher als der dritte und dieser früher als der vierte fertig. Der zweite Satz war ungefähr im August 1823 im Entwürfe fertig. Ein in die Monate Mai bis Juli 1823 zu setzendes Taschen-Skizzenbueh **) enthält, ausser der endgiltigen Form sehr nahe kommenden Entwürfen zum ersten Satz, Entwürfe zum zweiten und dritten Satz der
*) Die bisher in diesem Artikel benutzten Vorlagen sind in den Artikeln XXXV, XXXVI und XLV näher bezeichnet. Die einzelnen Blätter, welche benutzt wurden, befinden sich an verschiedenen Orten.
**) Im Besitz von A. Artaria in Wien.

neunten Symphonie. Interessant ist es zu sehen, wie liier Beethoven die zwei Fugenthemen aus den Jahren 1815 und 1817 heranzieht, wie er durch Verlängerung’ derselben nahezu das jetzige Thema gewinnt und wie er dabei auf andere Stellen, auf den dreitaktigen Rhythmus u. s. w. kommt. Wir setzen einen Theil der Skizzen her, können jedoch nicht durchweg für die Richtigkeit der Aufeinanderfolge einstehen, da das Skizzenbuch, als zum Gebrauch ausser dem Hause bestimmt, eines von denen ist, welche vorne und hinten anfangen, also keinen Anfang haben. (Das Wort »gleich« bei der ersten Skizze bedeutet: gleich, ohne Vorspiel anfangen.)

erscheint sie in anderer Tonart und mit einer unbedeutenden Melodie, von der sie sich, auch nachdem sie nahezu ihre endgiltige Fassung gefunden,

wird ein anderer Anfang versucht. Ohne Zweifel ist diese Melodie in einem Conversationsheft aus dem Herl)st 1823 gemeint, wo der Neft’e schreibt: »Mich freut nur, dass Du das schöne Andante hinein gebracht hast.«

Von den übrigen Skizzen zum Adagio sind die zum Hauptthema die beachtenswerthesten. Sie beweisen, dass die Melodie, wie wir sie kennen, kein Werk des ersten Augenblicks war. Einer der ersten Entwürfe scheint dieser

*) Diese Skizze steht, auf der 7, Seite von zwei zusavnmengehürenden Bogen, die auf den vorhergehenden Seiten der endgiltigen Form nahe kommende Entwürfe zum zweiten Satz der neunten Symphonie mul auf
der letzten Seite einen zweistimmigen Kanon

Gros – sen Dank, gros – sen Dank
enthalten. Beethoven erwähnt diesen Kanon in zwei gegen Ende Juli 1823 an den Erzherzog Rudolf geschriebenen Briefen. In einem Briefe schreibt er: »Eben in einem kleinen Spaziergauge begriffen und stammelnd einen Canon „Grossen Dank!“ * ; ~*j- und nach Hause kommend und ihn aufsehreiben wollend für J. K. II …. . Morgen folgt mein Canon.« Im nächsten Briefe heisst es: »Grossen Dank ‘ überbringe ich selbst.« Am .‘51. Juli 1823 schreibt der Erzherzog: »Ich hoffe, Sie haben doch Ihren Canon aufgeschrieben.« Auf das an diesen Briefwechsel sich knüpfende Datum grüuden sieh hauptsächlich unsere Angaben, die obige Skizze sei um Juli 18*23 geschrieben und der zweite

Beethoven dachte hier noch nicht daran, den letzten Takt jedes Abschnittes, wie es in der Partitur geschieht, von den Blasinstrumenten wiederholen zu lassen. Höchstens könnte man im 15. Takt der letzten Skizze eine solche Wiederholung finden. In dieser Skizze
sind die Keprisen gefunden. Beethoven versucht nun noch eine andere Art, __
Satz sei ungefähr im August 1823 in den Skizzen fertig geworden. Diese Daten stehen zwar mit ändern Worten Beethoven’s im Widerspruch. Er schreibt am 1. Juli 1823 an Erzherzog Rudolf: »Ich schreibe jetzt eine neue Sinfonie für England für die philharmonische Gesellschaft, und hoffe selbe in Zeit von 14 Tagen gänzlich vollendet zu haben.« Man darf aber solche Aeusserungen nicht ganz wörtlich nehmen. Beethoven brauchte mehr Zeit. Schon am 25, April 1823 hatte er an F. Eies geschrieben: »Sie erhalten die Sinfonie nächstens.« Und am 5. September 1823 schrieb er an Ries: »Unterdessen können Sie sicher darauf rechnen, dass sie (die Symphonie) bald in London ist.« Die Symphonie kam aber erst nach London, als sie in Wien (7. Mai 1824) aufgeführt worden war. Und was den versprochenen Kanon betrifft, so scheint der Erzherzog denselben nie bekommen zu haben. Wenigsteus ist er in dessen Nachlass nicht gefunden worden.

wo die Blasinstrumente jedesmal einen ganzen Theil wiederholen. Bemerkenswert!! ist noch eine Skizze
zum Schluss des Satzes. Die Skizze, von der höchstens das Motiv der Pauken, aber anders verwendet, in die Partitur übergegangen ist, sticht in ihrer Einfachheit von der kunstvollen gedruckten Fassung sehr ab.

Aus den Skizzen zum Finale ergiebt sieh zunächst, dass Beethoven, als die Composition des Schiller’schen Liedes schon begonnen und vorgeschritten war, schwankte, ob er der Sym-

phonie ein vocales oder ein instrumentales Finale geben sollte. Auf einigen zusammengehörenden Bogen, welche grösstentheils der endgiltigen Form nahe kommende Entwürfe zum zweiten Satz enthalten, findet sich die Bemerkung:
Vielleicht doch Jen Chor Freude schöner —
Diese Worte, welche ungefähr im Juni oder Juli 1823 geschrieben wurden, drücken offenbar eine Unentschiedenheit im Entschluss aus. Das instrumentale Finale sollte eine Melodie bekommen,
Finale instromentale.
die, mit einigen Aenderungen und mit Versetzung in eine andere Tonart, später im Quartett in A-moll (Op. 132) verwendet wurde. Die Skizze, über deren Bestimmung die lleberschrift keinen Zweifel lässt, findet sieh in einem Skizzenheft, das vor- und nachher fast nur Entwürfe zur Composition des Schiller’schen Textes enthält. Die nämliche Melodie findet sich gegen Ende desselben Skizzenheftes vollständiger und in einer etwas ändern Version.

Im Herbst 1823 ist Beethoven wieder auf das Thema zuriiekgekommen. Hier hat es wieder eine etwas andere Fassung.*)

Was daraus geworden wäre, wenn Beethoven diese Arbeit fortgesetzt und statt des vocalen ein instrumentales Finale ü’e-

schrieben hätte, ist bei der Figenthiimlichkeit seines Schaffens, wo nichts auf v orau sgegaiigener bloss verstandesmässiger Berechnung, sondern alles auf einer gleichsam organischen, an
*) Der folgende Entwurf findet «ich nebst Arbeiten zum Sehluss-«ilior der Symphonie auf mehreren znsammengehörenden, im Archiv der (iiisellschaft der Musikfreunde in Wien aufbewahr tun Bogon. Unmittelbar nach ihm beginnen Arbeiten zu den sechs Bagatellen Op. 126.

das Vorher’gehende, Vorhandene anknüpfenden Entwiekelung beruht, schwer zu sagen .*)
Vom Finale, wie es gedruckt ist, entstand zuerst der ehorisehe Theil und die diesem vorangehenden Instrumentalvariationen über die Freudenmelodie; dann wurde die instrumentale und reeitativische Einleitung in Angriff genommen. Wir folgen dieser Ordnung.
Ausser den bereits mitgetheilten Melodien zu den ersten Worten des Schiller’schen Gedichtes hat Beethoven noch andere gesucht. Hier ein Beispiel.
Dieser Entwurf fällt noch in die letzten Monate des Jahres 1822. Von da an scheint Beethoven bei der jetzigen Melodie, wie sie in den im Sommer ode»- Herbst 1822 gefundenen ersten
*) L. Sonnleithner, auf eine Mittheilung von C. Czerny sieh stützend, berichtet in der Leipziger »Allg. musik. Zeitung« vom 6. April 18G4: »Einige Zeit nach der ersten Aufführung der 9. Symphonie soll Beethoven in einem kleinen Kreise seiner vertrautesten Freunde, worunter auch Czerny war, sieh bestimmt ausgesprochen haben, er sehe ein, mit dem letzten Satze dieser Symphonie einen Missgriff begangen zu haben; er wolle denselben daher verwerfen und dafür einen Instrumentalsatz ohne Singstimmen schreiben, wozu er auch schon eine Idee im Kopfe habe.« Dasselbe hat Czerny mit ändern Worten auch dem Schreiber dieser Zeilen gesagt. Was für eine »Idee« Beethoven hatte, glauben wir zu wissen. Dass aber Beethoven entweder von seinem dort geäusserten Vorsatz zurückkam oder dass es ihm mit der Aenderung nicht Ernst war, ist sieher. Er würde sonst das Manuscript, das er wenigstens noch sechs Monate nach der ersten Aufführung in Händen hatte, nicht so, wie es war, dem Verleger übergeben haben.
In einem ändern Tone spricht sich Seyfried aus. Er schreibt-(»Cacilia«, Bd. 9, S. 236): »Soviel ist ausgemacht, dass Beethoven gewiss zweckmässiger verfahren wäre, wenn er wohlgemeintem, bewährtem Freuudes-Ratli gefolgt und auf dieselbe Weise, wie zu dem letzten Quatuor (in B-dur, Op. 130), auch hierein anderes, zweites Schluss-Stück ohne Singstimmen gesetzt hätte.« Seyfried ist wohl selbst der bewährte Freund gewesen.

vier Takten angedeutet ist, geblieben zu sein. Die Melodie musste manche Wandlungen durchmachen, bis sie die end-giltige Form fand. Namentlich gilt das vom zweiten Theil. Dieser musste noch gefunden werden. Ungefähr im Juli 1823 lautet die Melodie so:
Bass
Freu-de schö-ner

Etwas später entstand diese Fassung:

Hier ist die Melodie den Instrumenten zugetheilt. Diese abgerissenen Entwürfe.

sind meistens auf die Ausbildung des zweiten Theils gerichtet. Tn einer später geschriebenen, instrumental gedachten Skizze

Moderato
stimmt die Melodie, mit Ausnahme des Taktzeichens und des angegebenen Tempos, mit der endgiltigen Form fast ganz iiberein.

In den vielen übrigen Skizzen zum ehorisehen Tlieil hat Beethoven Versionen des Hauptthemas und für spätere Strophen des Gedichtes Weisen und Fassungen versucht, die in der Partitur nicht angewendet sind. Diese Skizze

zeigt in ihrem Anfang eine von Grund aus von der gedruckten Form verschiedene Auffassung des Textes. Nur in den rhetorischen Accenten, mit denen einzelne Wörter belegt sind, lässt sich eine Aehnlichkeit mit der spätem Behandlung der Worte erkennen.

Zwischen diesen und ändern Skizzen kommen mehrere Bemerkungen vor, die hier anzuführen sind. Eine Bemerkung lautet:

türkische Musik in Wer das nie gekonnt, stehle — eine andere, bei Skizzen zum Allegro alla inarcia in B-dur stehend:

türkische Musik — erst pianissimo — einige laute ppmo — einige Pausen — dann die vollständige Stärke

nnd eine dritte:

auf Welt Sternenzelt forte Posaunenstösse Nur bei zwei von den hier gemeinten Stellen hat Beethoven sein Vorhaben ausgeführt. Eine vierte, bei Arbeiten zum Sehlussehor vorkommende Bemerkung

die Höhe der Stimmen mehr durch Instrumente lässt sieh dahin deuten, dass die hoehgehenden Singstimmen durch Instrumente unterstützt werden sollten. Ist diese Auslegung richtig, so wäre das ein Beweis, dass Beethoven sich der ihm so oft Vorgeworfenen Nichtbeachtung des Umfangs, der zu hohen Führung der Singstimmeii bewusst war. Eine ebenfalls bei Arbeiten zum Sehlussehor vorkommende Bemerkung Anfang einer Overtur kann zu einer jetzt zu berührenden Erscheinung gehören und darin ihre Erklärung finden.

Aus ändern Skizzen geht hervor, dass Beethoven längere Zeit hindurch im Sinne hatte, das Finale mit einem thematisch für sich bestehenden Instrumentalvorspiel zu beginnen und dann entweder unmittelbar, oder nach der vorher vom Orchester erst einfach und dann variirt vorgetragenen Freudenmelodie den Chor eintreten zu lassen. Zu einer solchen instrumentalen Einleitung finden sieh die verschiedensten Entwürfe» Wir setzen die meisten der vorkommenden Entwürfe her,

müssen es jedoch dahingestellt sein lassen, ob nicht einer oder einige derselben zu dem früher erwähnten instrumentalen Finale bestimmt waren. Der erste von diesen Entwürfen, der spätestens im Juli 1823 geschrieben wurde und noch zwischen Arbeiten zum ersten Satz vorkoxnmt, lässt durch die beigefügten Worte »Vor der Freude« keinen Zweifel über seine Bestimmung aufkommen. Dasselbe ist vom zweiten Entwurf zu sagen. Dieser kommt auch zwischen Arbeiten zum ersten Satz vor. Die dann folgenden Entwürfe wurden später geschrieben. Von einer vocalen und instrumentalen Ein- oder Uebcrleitung zum chorischen Th eil, wie wir sie kennen, findet sich in den Skizzen aus der Zeit, vor Juli 1823 keine Spur.

Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1823 und während der fortgesetzten Arbeit zur Composition des Schiller’schen Textes kam Beethoven, wie diese Skizze zeigt,

auf den Gedanken, die zuerst von den Blasinstrumenten vorgetragene Hauptmelodie mit einem recitativartigen Vorspiel, ferner mit einem Anklang an den ersten Satz der Symphonie und mit einem jene Melodie ankündigenden Motiv einzuleiten. Damit war der erste Schritt zur jetzigen Einleitung geschehen. Es fehlte zunächst noch die Motivirung des Eintritts der Singstimmen durch Worte. Diese zu finden, hat Mühe gekostet. Schindler wefis davon zu erzählen. Auch sagen es die Skizzen. Schindler sagt (Biogr. II, 55): »An die Ausarbeitung des vierten Satzes gekommen, begann ein selten bemerkter Kampf. Es handelte sieh um Auffindung eines geschickten Modus zu Einführung der Schiller’schen Ode. Eines Tages in’s Zimmer tretend, rief er mir entgegen: »Ich hab’s, ich hab’s!« Damit hielt er mir das Skizzenheft vor, wo notirt stand: »Lasst uns das Lied des unsterblichen Schiller singen« u. s. w. In den Skizzen, die nun vorzulegen sind und von denen die ersten, nach einer Angabe Sehindler’s, frühestens Ende October 1823 geschrieben »irden, hat Beethoven, um die geeigneten Worte zu finden und um überhaupt den Eintritt des Chors zu begründen, umständliche Versuche angestellt. Er holt weit aus und spricht sich mit voller Unbefangenheit aus. Man muss seine Worte auch so nehmen und darf nicht daran mäkeln. Sind sie doch nicht für uns geschrieben. An mehreren Stellen ist wegen Unleserlichkeit der Wortlaut nicht herzustellen. Solche Stellen müssen offen bleiben.

Die ersten Worte, die Vorkommen.

Nein diese …. erinnern an unsre Verziveifl.

stehen tiber. einem recitativischen Vorspiel, zu dem sie wahrscheinlich gehören. In einem bald darauf erscheinenden Entwurf

werden die der Reibe nach vorgefiihrten Hauptthemeu der
ersten drei S37 ± £  _ 1 _w V— mphoniesätze •0- ♦ —  U v wV apostropliirt. Hier rJ^
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wird die Schluss-Stelle des vorigen Entwurfs anders gefasst und weiter ausgefiihrt, wobei ein Gang zu Tage kommt, der mit einiger Aenderung in die Partitur übergegangen ist. Nach kürzerer oder längerer Unterbrechung wird eine kürzere Fassung des Kceitativtextes gesucht. Beethoven schreibt erst:
Lasst uns das Lied des unsterblichen. Schillers singen
Freude, Freude, Freude schöner Göl-ter-fim-ken
nicht diese Tö- ____
, ne fröhlichere ll)’l Freude! Freude!
und dann:
Bass
Voce
e;c.
Damit war der Weg zur endgültigen Fassung gebahnt.
Ende 1823 oder ganz zu Anfang 1824 war die Symphonie in den Skizzen. ungefähr im Februar 1824 in Partitur fertig. Die Dauer der Composition lässt sieh verschieden bestimmen. Wollte man die allerersten Entwürfe einrechnen, die in der Symphonie benutzt sind, so müsste man wenigstens 8 Jahre zählen. Diese Entwürfe sind jedoch von der Rechnung aus-zuschliessen. Den Beginn der Composition können sie nicht bezeichnen. Dieser kann erst mit dem Beginn des ersten Satzes bezeichnet werden, und von da an sind ungefähr Jahre bis zur Vollendung des Werkes hingegangen. Will man die sich lang hinziehende, längere Zeit unterbrochene Arbeit zum ersten Satz zum Theil als Vorarbeit an sehen und fasst man nur die Zeit in’s Auge, in der die Grundlinien zur ganzen Symphonie gezogen wurden und der Bau aufgeftihrt wurde, so hat man ungefähr ein Jahr als die Dauer der Composition anzunehmen.

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