Gustav Nottebohm – Beethoveniana – XXVII – Ein Stammbuch Beethoven’s. (Seite 138)

Aufsätze und Mittheilungen von Gustav Nottebohm
Leipzig, Verlag von C. F. Peters 1872

Vor einiger Zeit ist ein Stammbuch zum Vorschein gekommen 1*), in welches sich Freunde und Freundinnen Beethoven’s kurz vor dessen Abreise von Bonn nach Wien im Jahre 1792 eingeschrieben haben. Wir entnehmen ihm, dass Beethoven am 1. November 1792 noch in Bonn war, und dass an diesem Tage seine Abreise ganz nahe bevorstand. Bestätigt wird, dass Beethoven die Absicht hatte, nach Bonn zurück zu kehren. Dagegen sind in einigen der eingeschriebenen Denk-sprüche Dinge berührt, die der Aufklärung bedürfen, vielleicht aber auch anderwärts Aufschluss geben können. Die eingezeichneten Namen sind grösstentheils bekannt, zum Theil nicht. Dagegen vermissen wir mehrere bekannte Namen.
Freund Koch hat das Buch vorn mit einer Zeichnung geziert. In der Mitte stehen die Worte: »meinen Freunden«. Am untern Rande steht: »Ludwig Beethoven«, und an andern Orten finden sich die Namen »Degenhardt« und »Koch«.
Um den Inhalt des Buches zu vergegenwärtigen, genügt eine annähernd vollständige Wiedergabe der Sprüche, d. h. eine Wiedergabe mit Weglassung einiger ganz gleichgültiger Stellen, wie solche als Ballast auch in andern Stammbüchern vorkommen. Ich werde solche Stellen mit Punkten (……) bezeichnen. Ich numerire ferner die Blätter und beginne:
I.
—Wer alles was er kann Erlaubt sich hält, und auch, wenn kein Gesetz ihn bindet,
Der Güte grosses Gesetz in seinem Herzen nicht findet Und wär er Herr der Welt — mir ist er ein Tirann.
Der Himmel, mein Inniggeliebter, knüpfte mit unauflöslichem Band unsere Herzen — und nur der Tod kann es trennen. — Reich mir Deine Hand, mein Trauter, und so zum Lebensziel. (Bonn den 24 8br 1792).
Dein Malchus 2*).
II.
Gehört die süsse Harmonie, die in Dem Saitenspiele schlummert, seinem Käufer, Der es mit taubem Ohr bewacht? ….
Ihre wahre Freundin Wittib Koch 3*). (Bonn den 1ten 9br 1792 – Am Abend unseres Abschiedes).
III.
Ach! der Sterblichen Freuden, sie gleichen den Blüthen des Lenzes, Die ein spielender West sanft in den Wiesenbach weht, (Bonn den 24ten Oktober 1792) Ihre Freundin Mariane Koch.
IV.
Prüfe und wähle. Dein ewig treuer Richter 4*) Bonn den 24ten 8ber 1792
V.
—Die Unsterblichkeit Ist ein grösser Gedanke, Ist des Schweisses der Edlern werth!
———————————
Die Wahrheit ist vorhanden für den Weisen, Die Schönheit für ein fühlend Herz. (Mit einer Zeichnung.) Bonn den 24ten im Oktober 1792 Dein Freund Koch.
VI.
Prüfe Alles und das Gute behalte. So wandle hin du guter Junge! Und Gottes Segen gehe dir voran!  Nun ziehe hin! Sey bieder stets Und gut und wahr! —
Dann sollst du mich (und bräch’ auch alles dir) Und unsern trauten Kreis Mit offnen Armen, wahrer Liebe Auf deine Rückkunft harren sehn!
Meinem lieben Betthoven zur glücklichen Reise von seinem ihn liebenden Freunde Joh. Jos. Eichhoff 5*). Bonn am 25ten 8bre 1792.
VII.
[Schattenriss eines schönen männlichen Kopfes, wahrscheinlich der des Grafen Waldstein, welcher das gegenüberstehende, folgende Blatt geschrieben hat.]
VIII.
Lieber Beethoven.
Sie reisen itzt nach Wien zur Erfüllung Ihrer so lange bestrittenen Wünsche. Mozart’s Genius trauert noch und beweinet den Tod seines Zöglinges. Bei dem unerschöpflichem Haydn fand er Zuflucht, aber keine Beschäftigung; durch ihn wünscht er noch einmal mit jemanden vereinigt zu werden. Durch ununterbrochenen Fleiss erhalten Sie: Mozart’s Geist aus Haydn’s Händen. Bonn den 29t Octbr 1792 Ihr wahrer Freund WaIdstein 6*).
IX.
Es bedarf nicht der Inschrift, Dass wir, einer des andern, in Liebe gedenken: Freundschaft grube mit Feurschrift Dich mir tief, unauslöschlich in’s Herz; und wie würd’ ich dich kränken, Dächt’ ich anders von deinem gleichfühlendem Herze ? Ja, stäts denk’ ich mit Innbrunst An dich Theurster! bald, wie du die Liebe, den Zorn und die feinern Scherze, Mächtiger Meister der Tonkunst! Leidenschaften nach Willkühr Und mit Wahrheit der Saite entlockest, dass Feinde Selbst dich schätzen; ich denk’ mir Bald, wie du vom berauschenden Beifall im traulichen Kreise der Freunde Aufschnaufst. — Bringst du ein Thränchen dem nahen uns heiligen Tage, Dann gar denk ich mich mit dir Am Arm wandelnd zum Hügel, der bisher den Edlen barge Unbesuchet vom Freund. Hier Seufz’ ich mit dir bis K— hört  Und erhörend im lichtnen Gewande hernieder sich schwinget. Er kömmt schwebend daher; stört Das Todblümchen auf, das hingebücket ein Opfer der Trauer ihm bringet. — Sieh, es richtet sich auf. Das Epheu……
Bonn den 30n 8ber 1792. Degenhart 7*).
X.
Bestimmung des Menschen. Weisheit erkennen, Schönheit lieben, Gutes wollen, das Beste thun. Denk, auch ferne, zuweilen Deines wahren aufrichtigen Freundes Heinr. Struve aus Regensburg, in Russisch Kaiserl. Diensten. Bonn den 30ten October  1792
(Mit einer Zeichnung nebst Symbol.).
XI.
Freundschaft mit dem Guten Wächset wie der Abendschatten, Bis des Lebens Sonne sinkt.
(Herder.) Bonn den 1. November 1792  Ihre wahre Freundin Eleonore Breuning 8*).
XII.
Sieh! es winket, o Freund, lange dir Albion. Sieh den schattigen Hain, den es dem Sänger beut. Eile denn ungesäumet Ueber die flutende See, Wo ein schönerer Hain beut seine Schatten dir, Und so freundlich die Hand reichet ein Barde dar. Der von unsren Gefilden Floh’ auch in Albions Schutz. Dort ertöne dein Lied stark und des Sieges voll Halle wild durch den Hain, über das Seegewühl, Hin in jene Gefilde, Denen du freudig entflohst.
Bonn, 1. 9bre 1792. Denk an deinen Freund Ed. Breuning 9*)
XIII.
Handle, die Wissenschaft, sie nur, machte nie Glückliche. Bonn, den 1ten 9ber 1792. Dein Freund P. J. Eilender 10*)
XIV.
Freund, wenn einst bei stiller Mitternacht, Fern von uns, der Tonkunst Zaubermacht Dich in sanfte Phantasien senkt, Hochgefühl dein Wesen ganz durchbebt. Mozart’s Genius dich überschwebt Und dir lächelnd seinen Beifall schenkt. Wenn der Einklang schön gewählter Töne Dann dein Herz erfreut — o lass das schöne Einst so gut gestimmter Freundschaft dich noch freun. Denk der Fernen, Guten — Kömmst du einst zurücke. (Froh sehn wir entgegen diesem Augenblicke) O wie wollen wir uns Herz an Herz dann wieder freun. Bonn den 1ten Oct. 1792. J.J. Crevelt  Arzt (Ihr Verehrer und Freund 11*)
XV.
Sagen Sie ihm, dass er für die Träume seiner Jugend Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird. Nicht öffnen soll dem tödtenden Insekte Gerühmter besserer Vernunft das Herz Der zarten Götterblume — dass er nicht
Bonn den 1ten 9vember 1792.  Dein Freund Klemmer 12*).
1*) Gegenwärtig befindet es sich in der Wiener Hofbibliothek.
2*) Karl August Freiherr von Malchus (später Graf von Marienstadt), Privat-Secretair des österreichischen Gesandten am churfürstlichen Hofe, Verfasser eines Werkes über Finanzwissenschaft. Vgl. Wegeler’s »Notizen« S. 56, 59, Nachtrag S. 15; Thayer’s Beethoven-Biographie I, 218.
3*) Wittwe Koch, Besitzerin eines Wirthshauses am Markte in Bonn. Sie hatte zwei Töchter und einen Sohn. Eine Tochter hiess Barbara (später Gräfin Belderbusch) ; ihr Name kommt im Stammbuch nicht vor. Die andere Tochter hiess Mariane; sie ist die Schreiberin des nächsten Blattes und soll später an einen Universitäts-Professor verheirathet gewesen sein. Vielleicht ist der Schreiber des drittfolgenden Blattes, der auch das Titelblatt gezeichnet hat, der Sohn. Vgl. Wegeler a. a. O. S. 56, 58; Thayer a. a. O. S. 218; »Allgemeine Musikalische Zeitung« 1871, S. 266. Thayer nennt (I, 157) auch einen Organisten Willibald Koch.
4*) Wahrscheinlich der Hofchirurg Joh. Heinrich Richter. Vgl. Allgemeine Musikalische Zeitung 1871, S. 266.
5*) Joh. Joseph Eichhof, churfürfstlicher Mundkoch, später Rheinschifffahrts-Director. Vgl. Allgemeine Musikalische Zeitung a a. O. u. Thayer II, 410. In Deiters’ Beiträgen zu Thayer’s Beethoven wird (I, 356) Eichof, früher Beisitzer in Paris« u. s. w.
6*) Ferdinand Graf Waldstein, der bekannte Beschützer Beethoven’s. Vgl. Wegeier a. a. O. S. 13 f.; Thayer I, S. 229. Obiges Schreiben ist auch veröffentlicht in Schindler’s Biographie I, 18.
7*) Vielleicht Joh. Anton Degenhard, Wachtschreiber am Gouvernement zu Bonn. Beethoven schrieb am 23, August 1792 für «Freund Degenharth” ein (ungedrucktes) Stück für zwei Flöten. Vgl. Allgemeine Musikalische Zeitung a. a. 0.; Thayer I, 233. — Wer mag der gestorbene Freund Beethoven’s und Degenhart’s sein? (Kügelgen? — Vgl. Wegeler S. 59; Thayer S. 137, 140, 219, 227.)
8*) Eleonore von Breuning wurde später die Gattin Wegeler’s. Beethoven schickte ihr Briefe und Musikalien von Wien aus, widmete ihr auch ein Heft Variationen. Vgl. Wegeler a. a. O. S. 10, 54ff.
9*) Die Unterschrift ist hinsichtlich des Vornamens zweifelhaft. Statt »Ed.« kann man auch »E. v.« lesen. Räthselhaft ist der Inhalt des Gedichtes. Wollte denn Beethoven nach England reisen? Und wer war der »Barde«, der vom Rhein nach »Albion« zog? Vielleicht dachte der Schreiber an den Geiger J. P. Salomon, ein geborner Bonner, der damals in London lebte und der auch J. Haydn zur Reise nach England veranlasst hatte. Neefe theilt in der Berliner Musikalischen Zeitung vom 20. Octbr. 1793 mit, dass Haydn bei seiner zweiten Reise nach London Beethoven mitnehmen wollte. Vielleicht war das schon eine beschlossene Sache, als Beethoven noch in Bonn war.
10*) P. J. Eiländer hiess ein Sacristan an der churfürstlichen Hofkapelle. Vgl. Allgemeine Musikalische Zeitung 1871, S. 266. Deiters erwähnt, in Thayer’s Beethoven I ,356 einen »Eilender, nachher Notar«.
11*) Crevelt, der Arzt, wird erwähnt bei Wegeler a. a. O. S. 59, Thayer a. a. 0. S. 219). Das Datum (1. Octbr.) ist wohl ein Schreibfehler. Man kann nicht annehmen, dass das Stammbuch lange vor dem 24. October, an welchem Tage sich Freund Koch einschrieb, fertig geworden sei.
12*) Jakob Klemmer hiess ein Unter-Bereiter in der churfürstlichen Reitbahn. Vgl. Allgemeine Musikalische Zeitung a. a. O.

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