Gustav Nottebohm – Beethoveniana – XXVI – Metronomische Bezeichnungen. (Seite 126)
Aufsätze und Mittheilungen von Gustav Nottebohm
Leipzig, Verlag von C. F. Peters 1872
Gewiss, wer kein Gefühl hat, dem hilft kein Metronom, und dem hilft auch manches Andere nicht. Der Metronom hat es nicht mit dem Gefühl zu thun. Der Metronom ist nur ein Hülfsmittel zur Sicherstellung eines vom Componisten gedachten Tempos. Subjective und geistige Auffassung eines Tonstücks, Nüancirungen in der Bewegung, auf den rhythmischen Bau eines Tonstücks begründete Abweichungen vom absoluten oder normalen Zeitmass u. dgl. können nicht von einem seelenlosen Schlagwerk abhängig gemacht, noch weniger dadurch bestimmt werden. Beethoven hat sich selbst über die begrenzte Sphäre des Metronoms ausgesprochen. In einem im Jahre 1817 an Mosel geschriebenen Briefe heisst es u. a.: »Was mich angeht, so habe ich schon lange darauf gedacht, diese widersinnigen Benennungen: Allegro, Andante, Adagio, Presto aufzugeben; Mälzel’s Metronom giebt uns hiezu die beste Gelegenheit. Ein Anderes ist es mit den den Charakter des Stückes bezeichnenden Wörtern; solche können wir nicht aufgeben, da der Takt eigentlich mehr der Körper ist, diese aber schon selbst Bezug auf den Geist des Stückes haben« 7*). Was man gegen den Metronom geltend machen kann, das ist die Unverträglichkeit seiner gleichen Schläge mit eigentlich musikalischem Takt, und die daraus erwachsende Schwierigkeit, das Tempo einer Composition nach einer gleichmäßig fortschlagenden Maschine zu bestimmen. Es sind bekannte Erscheinungen, dass es schwer ist, ein Stück durchweg nach einem schlagenden Metronom im Takte zu spielen, und dass wiederholt und zu verschiedener Zeit vorgenommene Metronomisirungen eines Stückes selten ganz übereinstimmen. In diesen Erscheinungen mögen manche Einwendungen, die man gegen den Metronom machen kann und die zum Theil auch Schindler macht, begründet sein. Alle Einwendungen können uns aber nicht so weit führen, dass wir mit Schindler von »des Meisters geringer Werthschätzung des Metronoms« überzeugt werden und uns »vor allen Metronomisirungen warnen« lassen 8*). Im Gegentheil, wir lassen uns die Meinung nicht nehmen, dass Beethoven den Metronom nicht unter-, aber auch nicht überschätzte, und dass die von ihm herrührenden metronomischen Bezeichnungen der Erhaltung und einiger Beachtung werth sind.
Wir wollen nun die Werke namhaft machen, welche Beethoven mit metronomischer Bezeichnung versehen hat.
Im Jahre 1817 erschien bei S. A. Steiner u. Comp. in Wien ein kleines Heft unter dem Titel: »Bestimmung des musikalischen Zeitmasses nach Mälzel’s Metronom. Erste Lieferung. Beethoven. Sinfonien Nr. 1—8 und Septett von dem Autor selbst bezeichnet«. (Verlagsnummer: 2811.) Das Heft enthält die Bezeichnung aller Sätze der Werke Op. 20, 21, 36, 55, 60, 67, 68, 92 und 93. Sämmtliche Bezeichnungen sind in die Breitkopf und Härtel’sche Gesammt-Ausgabe der Werke Beethoven’s aufgenommen worden. Die Tempo-Bezeichnungen der ersten acht Symphonien sind auch abgedruckt in einer Beilage zur Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 17. December 1817 mit der Ueberschrift: »Die Tempo’s sämmtlicher Sätze aller Symphonien des Herrn L. v. Beethoven, vom Verfasser selbst nach Maelzels Metronom bestimmt«. Eine Angabe der Tempi ist also hier überflüssig.
9) Kanon auf Mälzel (:Ta ta ta ta u. s. w.). Schindler hat (vgl. seine »Biographie«, 3. Aufl. I, 195) diesen Kanon mit der Bezeichnung “M. M. 72 = ♪” und mit der Bemerkung veröffentlicht, Beethoven habe ihn im Frühjahr 1812 »improvisirt«. Das kann nicht ganz richtig sein. Im Text des Kanons kommt das Wort »Metronom« wiederholt vor; auch kann jene Tempo-Bezeichnung nur auf Mälzel’s Metronom gedeutet werden. Nun gab es aber im Jahre 1812 noch keinen »Metronom«; wenigstens hiess der Taktmesser, mit dem sich Mälzel damals beschäftigte, nicht so. Der Taktmesser, mit dem er sich damals beschäftigte, hiess »Chronometer«. Der Metronom und sein Name kam erst im Jahre 1815 auf ). Nun ist es wohl möglich, dass der Kanon i. J. 1812 entstand: dann kann aber das Wort »Metronom« nicht darin vorgekommen sein. So, wie wir den Kanon kennen, kann ihn Beethoven frühestens 1815 geschrieben haben. Damit lässt sich Schindler’s Angabe (S. 197), er sei um 1818 durch Abschrift in den Besitz des Kanons gekommen, in Einklang bringen. Die angegebene metronomische Bezeichnung aber scheint Schindler dem zweiten Satz der achten Symphonie entnommen zu haben.
Die Anzahl der von Beethoven metronomisirten Werke ist, wie unsere Zusammenstellung zeigt, an sich nicht unbeträchtlich. Dass bei weitem nicht alle Werke bezeichnet, sind, ist wohl zum Theil aus der besonderen Beschaffenheit mancher Compositionen, bei denen des oft wechselnden Tempos wegen eine Metronomisirung nicht gut durchführbar ist, zum Theil aus der ganzen künstlerischen Natur Beethoven’s zu erklären. Es wird berichtet, dass Beethoven seine Compositionen mit einer gewissen Taktfreiheit vortrug und vorgetragen haben wollte 9*). Da ist es denn wohl denkbar, dass es ihm nicht immer zusagte, für etwas Schwankendes eine feste Formel zu suchen, und dass er auch mit Absicht bei manchen Werken eine metronomische Bezeichnung wegliess.
Man wird einen Theil der metronomischen Tempo-Bestimmungen Beethoven’s dem Charakter der bezeichneten Stücke nicht ganz angemessen finden. So erscheinen uns namentlich einige symphonische Sätze zu schnell metronomisirt 10*). Vielleicht ist die Erscheinung durch die Annahme erklärbar, Beethoven habe die Metronomisirung am Claviere vorgenommen und sei hier zu Angaben gekommen, die er im Concertsaal schwerlich vertreten würde. Immerhin können die vorhandenen Bezeichnungen vor Missgriffen schützen und in zweifelhaften oder streitigen Fällen einen Anhaltspunkt bieten. Wenn wir z. B. über das Tempo des zweiten und dritten Satzes der achten Symphonie in Zweifel sind und meinen, der zweite Satz müsse, als eigentliches Scherzo der Symphonie, verhältnissmässig rasch, der dritte Satz aber, als Gegensatz des Scherzos, langsam genommen werden: so verschafft uns der Metronom den schlagenden Beweis, dass Beethoven sich die Viertelnoten im zweiten Satz (Allegretto scherzando ♪ = 88) beinahe dreimal langsamer dachte, als die Viertelnoten im dritten Satz (Tempo di Menuetto ♩ = 126), dass also der zweite Satz der langsamere ist. Beethoven’s Bezeichnung des ersten Satzes der Symphonie in C-moll, (Allegro con brio = 108) entkräftet auch eine Mittheilung Schindler’s (Biogr., 1. Ausg. S. 241), nach welcher Beethoven für die ersten fünf Takte ein langsameres, nämlich »dieses Tempo: ♩ = 126, ungefähr ein Andante con moto«, festgesetzt habe. Beethoven würde gewiss das wechselnde Tempo, wenn er es gewollt, bei der Metronomisirung angegeben haben.
Auch der Erfinder des Metronoms kann als Bezeichner herangezogen werden. Beethoven hat bekanntlich im Jahre 1813 für Mälzel’s Panharmonikon (ein mechanisches Orchester, aus 720 Pfeifen bestehend u. s. w.) ein Stück Schlacht-Symphonie (genauer: Sieges-Symphonie) geschrieben 12*). Später hat er das Stück für Orchester bearbeitet und in seine »Schlacht bei Vittoria« (Op. 91) aufgenommen, wo es mit einer vorgesetzten kurzen Einleitung von acht Takten die zweite Abtheilung (oder Sieges-Symphonie) bildet. In dem Manuscript, welches die für Mälzel bestimmte Bearbeitung enthält, finden sich von fremder, aber ohne Zweifel von Mälzel’s Hand folgende, auch auf die Bearbeitung für Orchester anwendbare metronomische oder vielmehr chronometrische 13*) Bezeichnungen: beim Allegro con brio (Breitkopf und Härtel’sche Partitur der »Schlacht bei Vittoria« S. 49): = 128.- Andante grazioso (Partitur S. 56): ♩ = 92. – Tempo di Menuetto moderato (Part. S. 65): ♩ = 96. – Allegro (Part. S. 68): ♩. = 120. Unwahrscheinlich ist es nicht, dass diese Tempi nach Beethoven’s Angabe beigefügt wurden.
2*) Die Wiener Allgemeine Musikalische Zeitung vom 14. Februar 1818 enthält eine von Ludwig van Beethoven und Anton Salieri unterschriebene Erklärung, welche beginnt: »Mälzels Metronom ist da! — Die Nützlichkeit dieser seiner Erfindung wird sich immer mehr bewähren; auch haben alle Autoren Deutschlands, Englands und Frankreichs ihn angenommen; wir haben aber nicht für unnöthig erachtet, ihn zufolge unserer Ueberzeugung auch allen Anfängern und Schülern, sey es im Gesange, dem Pianoforte oder irgend einem andern Instrumente, als nützlich, ja unentbehrlich anzuempfehlen. Sie werden durch den Gebrauch desselben auf die leichteste Weise den Werth der Note einsehen« u. s. w.
4*) Angeführt ist sie in Hoffmeister’s Monatsbericht vom November und December 1831.
5*) In der ersten Ausgabe seiner Biographie nennt Schindler (S. 213) wieder andere Werke, darunter die Sonaten Op. 109, 110,und 111, welche aber nicht von Beethoven bezeichnet sind. Jedenfalls haben wir hier wieder einen Beweis von Schindler’s Unsicherheit.
8*) Schindler a. a. O. II, 250 ff.
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