Es soll jetzt berichtet werden über eine (ungedruckte) Composition Beethoven’s, welche schon deswegen merkwürdig ist, weil sie eine Stelle enthält, welche fast eben so und nur mit anderen Worten in der Oper «Leonore« (Fidelio) vorkommt. Die anklingende Stelle ist geeignet, Betrachtungen und Vergleichungen anzuregen.
Gedachte Composition befindet sich autograph im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien*), Eine Ueberschrift, welche Aufklärung gäbe über Zweck, Bestimmung, Zeit der Entstehung des Werkes u. a. m., fehlt. Dem Text und der Anlage nach kann das Stück kaum etwas anderes sein, als das Finale einer Oper oder eines Singspiels. Geschrieben ist es für vier Singstimmen und Orchester. Die singenden Personen sind:
Sartagones, Liebhaber der Volivia (Tenor : und ein Ungenannter, Nebenbuhler des Sartagones (Tenor).
Die Stimmen des begleitenden Orchesters sind in der Partitur nicht vollständig ausgeführt; namentlich zeigen die Blasinstrumente manche Lücken. In den Singstinimen ist keine Lücke bemerkbar. Wo die Singstimmen schweigen, sind immer einige Orchesterstimmen hinreichend angedeutet, so dass nirgends eine Unterbrechung eintritt und sich der Gang des ganzen Stückes wohl überblicken lässt.
Das ganze Stück theilt sich, was Form, Takt- und Tonart betrifft, in vier verschiedene, aber modulatorisch mit einander verbundene Sätze. Den Anfang macht ein rascher Satz (ein Tempo ist nirgends angegeben) in G-moll und im C-Takt. Der Text ist folgender:
Ungenannter. Blick o Herr durch diese Bäume,
Sieh die Tochter Hand in Hand
Mit Sartagones dort stehen.
Porus. lst es Wahrheit? Sind es Träume?
Hast du sie genau erkannt?
Ungenannter. Hab’ erkannt und hab’ gesehen
Beide Arm in Armen gehen.
Porus. Ha! Verflucht sei diese Stunde!
Wenn die Tochter sich vergisst!
Kann sie hör’n aus meinem Munde
Dass verstossen sie nun ist.
Ungenannte. Still! Sie kommen näher an.
Porus. Ja! Sie kommen näher an.
Beide. Lauren wollen wir im Stillen,
Und dann sollen beide fühlen
Dass der Vater strafen kann.
——————————————–
Nun folgt ein langsamer Satz in Es-dur, 6/8 -Takt, mit folgendem Text:
Sartagones. Liebe Freundin, lebe wohl!
Sieh, schon fängt es an zu tagen.
Volivia. Ach! wie ist mein Herz so voll,
Voll von Ahndung, voll von Zagen.
Sartagones. Zagheit kennt die Liebe nicht,
Treu zu sein ist uns’re Pflicht.
Volivia. Dies schwörst du mir?
Sartagonen. Dies schwör ich dir.
Volivia. Nun zum Vater, meinem Freund,
Um seinen Segen lass uns flehen.
Sartagones. Ach, er hasst mich, ist mein Feind,
Mit welchem Aug’ wird er mich sehen?
Volivia: Er hasst niemand, glaube mir,
Theilt mit jedem Freud und Schmerz.
Bürgen will ich dir dafür,
Dass uns beiden schlägt sein Herz.
Sartagones. Das schwörst du mir?
Volivia. Das schwör ich dir.
Beide. Lass uns zum Vater eilen,
Lass länger uns nicht weilen;
Komm, wir wollen gehen.
——————————————————–
Ein kurzes Nachspiel führt zu folgendem Recitativ:
Porus. Dein Vater war mein Feind,
Schwur Hass und Fluch mir ewig.
Sartagones. Ach sei dem Sohne Freund!
Mit ihr fühl’ ich mich selig.
Volivia und Sartagones. Ach, trenn uns beide nicht,
Wir lieben uns zu sehr.
Porus. Und du vergisst die Pflicht,
Ich kenne dich nicht mehr.
Du aber weich von hier,
Denn ich verachte dich.
Sartagones. Wie, du verachtest mich?
Porus. Ja, ich verachte dich.
Sartagones. Wenn du mir nicht vergibst,
So strafe mich dein Schwert.
Sag an, wird sie nicht mein?
Volivia und Porus. Nein, niemals wird sie dein.
Sartagones. Nicht mein?
Volivia und Porus. Halt ein!
Porus. Warum soll Vaters Schuld er büssen,
Da er das Licht der Welt nicht kannte?
Volivia und Sartagones. Hier liegen wir zu deinen Füssen,
Reich uns des Vaters Segenshand.
Porus. Weil du sie wahrhaft liebst,
So sei sie dir beschert.
Steh auf, ich bin dein Freund.
Sartagones. Und so sind wir vereint.
Ungenannter. Weh mir, sie ist dahin,
Für mich ist sie ewig hin.
——————————————–
Hieran schliesst sich der letzte und ausgeführteste Satz, ein Terzett, von mehr als 120 Takten, in G-dur. Die Worte lauten:
Volivia und Sartagones. Nie war ich so froh wie heute,
Niemals fühlt’ ich diese Freude.
Porus. Gute Götter blickt herab,
Segnet ihre reinen Triebe.
Ewig treu sei ihre Liebe,
Ewig treu bis in das Grab.
Volivia und Sartagones. Gute Götter, blickt herab,
Segnet unsre reinen Triebe.
Ewig treu sei unsre Liebe,
Ewig treu bis in das Grab.
Das ist der ganze, von Beethoven componirte Text. Der Verfasser des Textes ist nicht genannt. Vielleicht bringt uns folgende Notiz auf die richtige Spur. Die »Zeitung für die elegante Welt« vom 2. August 1803 enthält einen am 29. Juni geschriebenen Bericht aus Wien, in welchem es u. a. heisst: »Aber woran liegt es, dass wir Deutschen gar so wenige gute Operntexte haben, und uns immer mit Uebersetzungen begnügen, oder dass unsere Kompositeurs sehr mittelmässige Bücher komponiren müssen? So schreibt jetzt der Abbé Vogler eine Oper von H., und Beethoven eine von Schikaneder«**). Dass nun das vorliegende Quartett zu der von Schikaneder gedichteten Oper gehöre und im Jahre 1803 componirt worden sei, ist nicht unwahrscheinlich. Die letztere Annahme verträgt sich mit der Beschaffenheit der Handschrift, nach welcher das Stück ganz gut im Jahre 1803 geschrieben sein kann.
Wir legen nun den Anfang des Schlusssatzes (mit den auf zwei Notenzeilen zusammengedrängten Orchesterstimmen) vor.