Gustav Nottebohm – Beethoveniana – XXII – Ein Stück aus einer unvollendeten Oper. (Seite 82)

Aufsätze und Mittheilungen von Gustav Nottebohm
Leipzig, Verlag von C. F. Peters 1872

Es soll jetzt berichtet werden über eine (ungedruckte) Composition Beethoven’s, welche schon deswegen merkwürdig ist, weil sie eine Stelle enthält, welche fast eben so und nur mit anderen Worten in der Oper «Leonore« (Fidelio) vorkommt. Die anklingende Stelle ist geeignet, Betrachtungen und Vergleichungen anzuregen.
Gedachte Composition befindet sich autograph im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien*), Eine Ueberschrift, welche Aufklärung gäbe über Zweck, Bestimmung, Zeit der Entstehung des Werkes u. a. m., fehlt. Dem Text und der Anlage nach kann das Stück kaum etwas anderes sein, als das Finale einer Oper oder eines Singspiels. Geschrieben ist es für vier Singstimmen und Orchester. Die singenden Personen sind:
Porus (Bass);
Volivia, dessen Tochter (Sopran):
Sartagones, Liebhaber der Volivia (Tenor : und ein Ungenannter, Nebenbuhler des Sartagones (Tenor).
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Die Stimmen des begleitenden Orchesters sind in der Partitur nicht vollständig ausgeführt; namentlich zeigen die Blasinstrumente manche Lücken. In den Singstinimen ist keine Lücke bemerkbar. Wo die Singstimmen schweigen, sind immer einige Orchesterstimmen hinreichend angedeutet, so dass nirgends eine Unterbrechung eintritt und sich der Gang des ganzen Stückes wohl überblicken lässt.
Das ganze Stück theilt sich, was Form, Takt- und Tonart betrifft, in vier verschiedene, aber modulatorisch mit einander verbundene Sätze. Den Anfang macht ein rascher Satz (ein Tempo ist nirgends angegeben) in G-moll und im C-Takt. Der Text ist folgender:
Ungenannter.     Blick o Herr durch diese Bäume,
Sieh die Tochter Hand in Hand
Mit Sartagones dort stehen.
Porus.      lst es Wahrheit? Sind es Träume?
Hast du sie genau erkannt?
Ungenannter.     Hab’ erkannt und hab’ gesehen
Beide Arm in Armen gehen.
Porus.         Ha! Verflucht sei diese Stunde!
Wenn die Tochter sich vergisst!
Kann sie hör’n aus meinem Munde
Dass verstossen sie nun ist.
Ungenannte.      Still! Sie kommen näher an.
Porus.      Ja! Sie kommen näher an.
Beide.      Lauren wollen wir im Stillen,
Und dann sollen beide fühlen
Dass der Vater strafen kann.
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Nun folgt ein langsamer Satz in Es-dur,  6/8 -Takt, mit folgendem Text:
Sartagones.     Liebe Freundin, lebe wohl!
Sieh, schon fängt es an zu tagen.
Volivia.      Ach! wie ist mein Herz so voll,
Voll von Ahndung, voll von Zagen.
Sartagones.      Zagheit kennt die Liebe nicht,
Treu zu sein ist uns’re Pflicht.
Volivia.      Dies schwörst du mir?
Sartagonen.      Dies schwör ich dir.
Volivia.      Nun zum Vater, meinem Freund,
Um seinen Segen lass uns flehen.
Sartagones.      Ach, er hasst mich, ist mein Feind,
Mit welchem Aug’ wird er mich sehen?
Volivia:      Er hasst niemand, glaube mir,
Theilt mit jedem Freud und Schmerz.
Bürgen will ich dir dafür,
Dass uns beiden schlägt sein Herz.
Sartagones.        Das schwörst du mir?
Volivia.       Das schwör ich dir.
Beide.      Lass uns zum Vater eilen,
Lass länger uns nicht weilen;
Komm, wir wollen gehen.
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Ein kurzes Nachspiel führt zu folgendem Recitativ:
Porus.      Dein Vater war mein Feind,
Schwur Hass und Fluch mir ewig.
Sartagones.     Ach sei dem Sohne Freund!
Mit ihr fühl’ ich mich selig.
Volivia und Sartagones.      Ach, trenn uns beide nicht,
Wir lieben uns zu sehr.
Porus.      Und du vergisst die Pflicht,
Ich kenne dich nicht mehr.
Du aber weich von hier,
Denn ich verachte dich.
Sartagones.       Wie, du verachtest mich?
Porus.      Ja, ich verachte dich.
Sartagones.      Wenn du mir nicht vergibst,
So strafe mich dein Schwert.
Sag an, wird sie nicht mein?
Volivia und Porus.      Nein, niemals wird sie dein.
Sartagones.      Nicht mein?
Volivia und Porus.      Halt ein!
Porus.      Warum soll Vaters Schuld er büssen,
Da er das Licht der Welt nicht kannte?
Volivia und Sartagones.      Hier liegen wir zu deinen Füssen,
Reich uns des Vaters Segenshand.
Porus.      Weil du sie wahrhaft liebst,
So sei sie dir beschert.
Steh auf, ich bin dein Freund.
Sartagones.      Und so sind wir vereint.
Ungenannter.      Weh mir, sie ist dahin,
Für mich ist sie ewig hin.
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Hieran schliesst sich der letzte und ausgeführteste Satz, ein Terzett, von mehr als 120 Takten, in G-dur. Die Worte lauten:
Volivia und Sartagones.      Nie war ich so froh wie heute,
Niemals fühlt’ ich diese Freude.
Porus.      Gute Götter blickt herab,
Segnet ihre reinen Triebe.
Ewig treu sei ihre Liebe,
Ewig treu bis in das Grab.
Volivia und Sartagones.     Gute Götter, blickt herab,
Segnet unsre reinen Triebe.
Ewig treu sei unsre Liebe,
Ewig treu bis in das Grab.
Das ist der ganze, von Beethoven componirte Text. Der Verfasser des Textes ist nicht genannt. Vielleicht bringt uns folgende Notiz auf die richtige Spur. Die »Zeitung für die elegante Welt« vom 2. August 1803 enthält einen am 29. Juni geschriebenen Bericht aus Wien, in welchem es u. a. heisst: »Aber woran liegt es, dass wir Deutschen gar so wenige gute Operntexte haben, und uns immer mit Uebersetzungen begnügen, oder dass unsere Kompositeurs sehr mittelmässige Bücher komponiren müssen? So schreibt jetzt der Abbé Vogler eine Oper von H., und Beethoven eine von Schikaneder«**). Dass nun das vorliegende Quartett zu der von Schikaneder gedichteten Oper gehöre und im Jahre 1803 componirt worden sei, ist nicht unwahrscheinlich. Die letztere Annahme verträgt sich mit der Beschaffenheit der Handschrift, nach welcher das Stück ganz gut im Jahre 1803 geschrieben sein kann.
Wir legen nun den Anfang des Schlusssatzes (mit den auf zwei Notenzeilen zusammengedrängten Orchesterstimmen) vor.

Die Aehnlichkeit des Anfangs dieses Terzetts mit dem Anfang des Duetts: »O namenlose Freude!« zwischen Leonore und Florestan in der ersten Bearbeitung der »Leonore« vom Jahre 1805 springt in die Augen. Erwähntes Duett beginnt, in dieser Bearbeitung so***):

Die Hauptthemata beider Stücke stimmen, eine Note ausgenommen und abgesehen von der Begleitung, in allen Theilen und in allen Elementen, die als wesentlich zu betrachten sind (Takt- und Tonart, zu Grunde liegende Figuren und Motive, melodische Tonfolge u. s. w.), überein. Der einzige Unterschied betrifft die im Duett auf die kurze Silbe »O« fallende Note d, welche das Terzett nicht hat. Doch ist dieser Unterschied nicht so bedeutend, dass dadurch die Melodie eine andere würde. Es ist eine metrische Verschiedenheit, die sich lediglich durch die äussere Beschaffenheit des Textes erklärt und die im rhythmischen Zusammenhange schwindet. Auch im weiteren Verlauf zeigt sich Uebereinstimmendes. So finden wir das Motiv,
welches Leonore und Florestan singen, erst zur Hälfte, dann aber vollständig, jedoch in anderer Lage und durch Wechselnoten etwas verändert, im Terzett bei den Worten »Gute Götter, blickt herab« u. s. w. wieder.
Vergleicht man die Hauptthemata beider Stücke, wie sie sich zu den ihnen unterliegenden Worten, diese nur nach ihrer äusseren Beschaffenheit betrachtet, verhalten: so kann man bemerken, wie natürlich und wie von selbst im Terzett die Worte »Nie war ich so froh wie heute« u. s. w. sich ihrer Melodie unterlegen; dass aber die ungewöhnliche Wiederholung einer Worthälfte (»namen-namenlose«) und die Hervorhebung einer nebentonigen Silbe (die dritte Silbe im Worte »namenlose«) im Duett nicht für eine ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Melodie und Wort sprechen. Diese Erscheinung bekräftigt die Annahme, dass das Terzett (oder Quartett) früher geschrieben wurde, als das Duett; denn dass Beethoven die Stelle aus der »Leonore« in ein anderes Werk hinübergenommen habe, ist nicht denkbar****).
Andere Unterschiede betreffen die rhythmische Ordnung und das Verhältniss zum Text in seinem Zusammenhange.
Im Terzett wird das Thema nur von den Singstimmen gebracht und einmal wiederholt. Im Duett aber wechseln wiederschlagartig Orchester und Singstimmen in der Wiederholung des Themas ab, so dass letzteres viermal vorkommt und den Singstimmen, nachdem sie es einmal gehabt und bevor sie es wiederholen, eine Pause zufällt. Im Terzett ist die Pause nicht. Die Liebenden singen hier ohne Unterbrechung zwei ihrem Inhalte nach zusammengehörende Verse: dann schweigen sie. Im Duett wiederholen Leonore und Florestan mit dem Hauptthema auch die erst gesungenen Worte “O namenlose Freude!«; dann theilen sie sich im Text; dann vereinigen sie sich wieder.
Die beiden Stücken gemeinsame Form ist die Rondoform. Das Terzett ist im Ganzen primitiver und einfacher gestaltet, als das Duett. Im ersten Theil des Terzetts entwickelt sich alles, was dem ersten Solo des Porus bis zum Wiedereintritt des Themas folgt, hauptsächlich aus vorhergegangenen Motiven und Sätzen. Im Duett treten neue Zwischensätze und Motive ein. In den folgenden Theilen beider Stücke ist hauptsächlich der thematische Inhalt ihrer ersten Theile verwendet; wesentlich Neues tritt weder hier noch dort hinzu. Das Duett ist in Folge der grösseren Ausdehnung seines ersten Theils auch länger, als das Terzett.
Betrachtet man nun die Stücke im Ganzen, vergleicht man sie nicht nur nach ihrem äusseren Wesen, sondern auch nach ihrem musikalischen Inhalte: so wird inan nicht anstehen, dem Duett den Vorzug zu geben. Beiden Stücken liegt eine Empfindung zu Grunde: die Freude. Aber diese Empfindung hat im Duett einen leidenschaftlicheren Ton und stärkere Ausdrucksmittel gefunden, als im Terzett *****). Die Ausdrucksmittel des Duetts sind derart, sie sind der Lage der Singenden und dem Inhalt der Worte so angemessen, dass wir uns nicht denken können, wie sie in gleicher Weise im Terzett hätten zur Anwendung kommen können. So mag man die Pause bedeutsam finden, welche eintritt, nachdem Leonore und Florestan die Worte »O namenlose Freude!« einmal gesungen haben. Soll man darin den Ausdruck einer die Gatten bis zur Athemlosigkeit überwältigenden Freude erkennen? Der Lage angemessen erscheint es ferner, dass Leonore und Florestan wenig Worte singen und die einmal gesungenen Worte wiederholen. Wahre Freude braucht wenig Worte, denn — Gedanken stehen zu fern. Die im weiteren Verlauf bei dem Worte »Lust« eintretende Fermate und dann das Uebergehen in ein langsames Zeitmass können als Ruhe – und Sammelpunkte der die Gatten beherrschenden Empfindung betrachtet werden. Alle diese Ausdrucksmittel hat das Terzett nicht. Die Liebenden wiederholen keins von den Worten, mit denen sie ihre erste Freude kundgeben. Nach ihrem Gesang bittet Porus die Götter um ihren Segen, worüber die Liebenden, indem sie in Porus’ Worte einstimmen, ihre Freude vergessen. Ein Ruhepunkt tritt nirgends ein; die einmal eingeschlagene Bewegung geht gleichmässig fort.
Zeichnet sich nun das Duett vor dem Terzett durch einen höheren Schwung im Ausdruck der Empfindung aus, so folgt von selbst, dass das Duett anders gesungen und vorgetragen werden muss, als das Terzett. Die Verschiedenheit des Vortrags muss sich nun auch auf das beiden Stücken gemeinsame Hauptthema erstrecken. Man wird für das Hauptthema des Duetts einen leidenschaftlicheren, einen mehr accentuirten, anschwellenden, für das des Terzetts, bei gleich schnellem Tempo, einen mehr gleichmässigen Vortrag verlangen. Wodurch wird aber die Verschiedenheit des Vortrages und der Auffassung bewirkt? Die verschiedene Wirkung kann nicht ausgehen von den Eigenschaften, welche den Anfängen beider Stücke gemeinsam sind; sie kann nur ausgehen von den Besonderheiten, welche das eine Stück hat, das andere nicht hat. Die Anfänge der Stücke unterscheiden sich aber nur in zwei Dingen: 1) in den erwähnten musikalischen Ausdrucksmitteln, und 2) im Text. Nun sind aber erstere, nämlich die Ausdrucksmittel, welche das Duett vor dem Terzett auszeichnen, nicht so beschaffen, dass sie der im Duett zur Darstellung gelangenden höheren Freude ausschliesslich eigen wären, sondern es sind musikalische Ausdrucksmittel überhaupt. Eben dieselben Mittel sind zur Symbolik anderer und anderartiger Empfindungen berechtigt. Leonore und Florestan wiederholen die einmal gesungenen Worte und theilen sich dann im Text; das thun Papageno und Papagena auch. Leonore und Florestan wiederholen nach einer Pause ein Thema in gleicher Lage und mit gleichen Worten; das kommt in komischen Singduetten häufig vor******) u. s. w. Der besondere Vortrag, den wir für das Hauptthema des Duetts verlangen, kann also nicht von jenen Mitteln der musikalischen Gestaltung, sondern nur von dem andern, übrigbleibenden Factor ausgehen. Dieser Factor ist der Text; die Worte sind es, deren Inhalt und die Vorstellungen, welche sie hervorrufen. Im Terzett sehen wir ein Pärchen, das ohne viele Mühe zum Heirathen gelangt und uns ziemlich gleichgültig lässt. Im Duett sehen wir vor einem tragischen Hintergrunde ein Ehepaar, welches nach langer Trennung sich wiederfindet und unsere Theilnahme an seiner Freude erregt. Die Freude, gehoben durch den Gegensatz der Leiden Florestan’s und durch die aufopfernde Liebe Leonorens, ist hier ihrem Grade nach eine höhere, ihrer Art nach eine reinere, als dort im Terzett. Die Vorstellung von der Lage, in welcher sich Leonore und Florestan befinden, wirkt ein auf unser Auffassungsvermögen und bestimmt uns, der Melodie den jener Lage gemässen Ausdruck zu geben. Und so hat uns die Parallelstelle Gelegenheit gegeben, die Abhängigkeit des musikalischen Ausdrucks von dem Inhalt eines Textes zu beobachten.

*)  Das Manuscript zählt 81 beschriebene, im Ganzen 84 Seiten. Im Verzeichniss des musikalischen Nachlasses Beethoven’s ist es unter Nr. 67 angeführt als »Gesangstück mit Orchester, vollständig, aber nicht ganzlich instrumentirt«.
**) Herr A. W. Thayer hat mich auf diese Stelle aufmerksam gemacht. Hier lässt sich noch Folgendes anführen. Der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 30. März 1803 wird aus Wien Ende Februar berichtet: »Beethoven und Abt Vogler componiren jeder eine Oper für das Theater an der Wien«. Beethoven schreibt am 2. November 1803 an Macco in Prag, dass er jetzt erst an seiner Oper anfange u. s. w.  Damit kann nur die Schikaneder’sche Oper gemeint sein, nicht »Fidelio«, welcher später entstand. Schikaneder war (1803) Director des Theaters an der Wien. Vogler’s Oper war wahrscheinlich »Samori«, gedichtet von F. X. Huber. Vergl. Thayer’s Biogr. II, 220, 241, 245, 263 f.

***) Dieser Anfang ist einer alten, von Beethoven revidirten Abschrift entnommen, welche sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien befindet. Zu verweisen ist auch auf den von O. Jahn bei Breitkopf und Härtel in Leipzig herausgegebenen Clavierauszug der »Leonore«. Ein ebenda im Jahre 1810 erschienener vergriffener Clavierauszug ist nach der zweiten Bearbeitung vom Jahre 1806 gemacht. Hier ist das Duett bedeutend (von 213 auf 121 Takte) gekürzt und geändert; die Hauptpartie, die in der ersten Bearbeitung dreimal vorkommt, kommt hier nur zweimal vor; im Anfang, etwa bei den ersten 50 Takten, stimmen beide Bearbeitungen ziemlich überein. In der dritten, unter dem Namen »Fidelio« bekannten Bearbeitung erstrecken sich die Aenderungen auch auf den Anfang des Duetts und auf das Hauptthema, so dass diese Bearbeitung am wenigsten zu einer Vergleichung geeignet ist.

****) Zu verweisen ist auch auf Thayer’s Biographie II, 281, 398 f.
*****) Lesenswerth ist, was einige ältere Schriftsteller über den Ausdruck der Freude durch musikalische Mittel geschrieben haben. Die Stellen, an die wir hier denken, sind geschrieben, als wenn ihre Verfasser das Duett aus Beethoven’s »Leonore« vor Augen gehabt hätten. Mattheson schreibt S. 16 seines Vollkommenen Capellmeisters: «Die Natur-Kündiger wissen zu sagen, wie es mit unsern Gemüths-Bewegungen eigentlich, und so zu reden cörperlich zugehe, und es ist einem Componisten ein grosser Vortheil, wenn er auch darin nicht unerfahren ist. Da z. E. die Freude durch Ausbreitung unsrer Lebens-Geister empfunden wird, so folget vernünfftiger und natürlicher Weise, dass ich diesen Affect am besten durch weite und erweiterte Intervalle ausdrücken könne. Weiss man hergegen, dass die Traurigkeit eine Zusammenziehung solcher subtilen Theile unsers Leibes ist, so stehet leicht zu ermessen, dass sich zu dieser Leidenschaft die engen und engesten Klang-Stuffen am füglichsten schicken«. In Marpurg’s Kritischen Briefen (Band 2, S. 273) steht : »Es kommen alle Tonlehrer, von welchen besonders der braunschweigische Patriot nachgelesen werden kann, in der Vorschrift der Art des musikalischen Ausdrucks, darinnen überein, dass …. die Freude eine geschwinde Bewegung, eine lebhafte und triumphirende Melodie, in welcher die weitern Klangstuffen vorzüglich gebraucht werden, und einen herrschenden consonirenden Grund der Harmonie erfordert«.
******) Von andern Beispielen können genannt werden: die letzte Arie der gläubigen Seele in J. S. Bach’s Matthäus-Passion: »Mache dich mein Herze rein«; der Chor der Priester Dagon’s in Händel’s Salomon: «Erschallt Trompeten hehr und laut«; die dritte Arie der Constanze in Mozart’s Entführung u. s. w.

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