Gustav Nottebohm – Beethoveniana – XX – Die Ouverture Op. 138. (Seite 60)
Aufsätze und Mittheilungen von Gustav Nottebohm
Leipzig, Verlag von C. F. Peters 1872
Partitur und Stimmen wurden bei der Versteigerung des musikalischen Nachlasses Beethoven’s im November 1827 von Tobias Haslinger gekauft und sind gegenwärtig im Besitz der Kunsthandlung Carl Haslinger qm. Tobias in Wien. Der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom Jahre 1828 wird (S. 111) über den Ankauf berichtet, dass Tobias Haslinger unter andern für einen Spottpreis ein Päkchen Tänze, Märsche u. dgl. « erstand und darin fand » die Partitur nebst ausgezogenen Orchesterstimmen einer ganz unbekannten, grossen charakteristischen Ouverture, welche der Meister, wie sich Schuppanzigh erinnert, wohl vor einigen Jahren probiren liess, was auch die eigenhändig mit Rothstift verbesserten Schreibfehler bezeugen. Der glückliche Finder wird davon Auflagen in 10 verschiedenen Arrangements veranstalten«. Zu Anfang des Jahres 1828 zeigt Tobias Haslinger (in der Münchener Musikzeitung vom Jahre 1827—1828) das bevorstehende Erscheinen des Werkes unter dem Titel an: »Grosse charakteristische Ouverture, 138. Werk«. Dieser Titel stimmt im Wesentlichen überein mit der Aufschrift, welche Beethoven der erwähnten Violin-Stimme gegeben hat. Die Ouvertüre erschien aber, wie wir sehen werden, unter einem anderen Titel.
Die Ouverture wurde nach ihrer Auffindung zum ersten Mal aufgeführt in einem von Bernhard Romberg am 7. Februar 1828 in Wien gegebenen Concerte. Die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung vom Jahre 1828 berichtet (Seite 225) u. a. über das Concert: »Grosses Interesse erregte Beethoven’s letzte Ouverture, welche die Haslinger’sche Handlung aus der Verlassenschaft im Manuscripte an sich brachte« u. s. w. Ungefähr dasselbe sagt die Wiener »Theater-Zeitung« vom Jahre 1828, Seite 68 und 82. »Der Sammler« vom 28. Februar 1828 berichtet u. a.: »In dem Concerte wurde eine Ouverture aus Beethoven’s Nachlass gegeben; ein Werk, das in der früheren Periode des verewigten Meisters geschaffen sein mag, wie aus dem ruhigeren Gange zu erhellen scheint — « u. s. w. Ein zweites Mal wurde die Ouverture aufgeführt in Wien am 13. März 1828 in einem Concert spirituel. Auf dem Programm stand: »Grosse charakteristische Ouverture von Beethoven (Manuscript)«. Berichte, die aber nichts Näheres sagen, findet man in der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom Jahre 1828, S. 296; in der Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom Jahre 1828, S. 215; in der Wiener Theater-Zeitung vom Jahre 1828, S. 151 u. a. a. O.
Aus allen diesen Mittheilungen und Daten geht hervor, dass man bis zum März 1828 nicht wusste, wann die aufgefundene Ouverture geschrieben wurde. Es fehlt auch jede Andeutung, aus der sich entnehmen liesse, dass man in ihr eine Leonore-Ouverture erkannt habe.
Auf den obersten Zeilen der Rückseite desselben Blattes steht rechts ein auf den Uebergang zum Finale der Symphonie zu beziehendes Bruchstück, welches so lautet:
und weiter unten erscheinen folgende, zur Ouvertüre Op. 138 gehörende Entwürfe:
Wir nehmen nun eine grössere, aus vier zusammengehörenden Bogen bestehende und 16 Seiten umfassende Skizzensammlung vor 2*). Auf der ersten Seite erscheinen unter anderen folgende zur Symphonie in C-moll gehörende Stellen:
Auf der zweiten Seite beginnt eine 12 Seite fortlaufende Arbeit zur Ouverture Op. 138, welcher wir folgende, auf den Anfang und auf die Hauptthemata zu beziehende Stellen entnehmen :
Nach den Arbeiten zur Ouverture erscheint ein zum ersten Satz der Sonate für Pianoforte und Violoncell Op. 69 gehörender Entwurf, welcher beginnt wie folgt:
Nach den Arbeiten zur Ouverture erscheint ein zum ersten Satz der Sonate für Pianoforte und Violoncell Op. 69 gehörender Entwurf, welcher beginnt wie folgt: (variante mit “Oder”)
Beethoven hat den Entwurf nicht ausgeführt. Er schrieb statt dessen die bekannte Ouverture in E-dur. Hätte er den Entwurf ausgeführt, so hätten wir vielleicht fünf Leonore-Ouverturen; wir würden dann die (wirkliche dritte Ouverture vom Jahre 1807 ungefähr eben so als den Vorläufer der unterdruckten) vierten ansehen, wie wir gegenwärtig die wirkliebe erste als den Vorläufer der zweiten Ouverture ansehen. schrieb statt dessen die bekannte Ouvertüre in E-dur. Hätte er den Entwurf ausgeführt, so hätten wir vielleicht fünf Leonore-Ouverturen; wir würden dann die (wirkliche dritte Ouvertüre vom Jahre 1807 ungefähr oben so als den Vorläufer der unterdrückten) vierten anschen, wie wir gegenwärtig die wirkliche) erste als den Vorläufer der zweiten Ouvertüre ansehen. Man kann nun noch fragen: hatte Beethoven i. ,J. 1814 bei der letzten Bearbeitung seiner Oper, an die Umarbeitung der Ouverture Op. 138 denken können, wenn diese Ouverture i. J. 1805 geschrieben und die erste der Leonore-Ouvertüren wäre? In der eingangs erwähnten geschriebenen Partitur hat Beethoven nachträglich bei vielen Stellen Aenderungen vorgenommen und versucht. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Aenderungen in’s Jahr 1814 und in die Zeit fallen, in welcher Beethoven seine Oper zur gänzlichen Umgestaltung vornahm. Als er von der Ausführung der vorhin erwähnten und zum Theil mitgetheilten Entwürfe zu einer Ouverture in E-dur abgestanden war, mag er auch dem Werke die eingangs angeführte Ueberschrift: »Charakteristische« Ouverture gegeben haben. Besagte Aenderungen sind zum Theil nur angedeutet und nicht ausgeführt, zum Theil sehr eingreifend. Dabei ist überall die ursprüngliche Lesart stehen geblieben. Das Manuscript kann seiner Beschaffenheit nach keineswegs als eine Druckvorlage, und das Werk selbst nach dieser Vorlage keineswegs als druckfertig betrachtet werden 8*). Einige Aenderungen lassen sich verschieden auslegen und konnten bei der Herausgabe des Werkes wohl Schwierigkeiten bereiten und Zweifel erregen. In den bei Haslinger in Wien und bei Breitkopf und Härtel in Leipzig erschienenen Ausgaben sind die ausgeführten und brauchbaren Aenderungen berücksichtigt worden. Zur Vergleichung mit diesen Ausgaben folge hier (auf zwei Notenzeilen zusammengedrängt) eine Stelle aus der Einleitung (Takt 23 ff. von Anfang) in ihrer ursprünglichen Fassung,
welche Beethoven später auf verschiedene Weise geändert und um einen Takt gekürzt hat.
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